Interpretation des Adapa Mythos
Siehe auch
-
- Übersetzung
- Datierung
Beteiligte
-
- An
- Enki
Zusammenfassung des Mythos
Der Adapa-Mythos erzählt eine bemerkenswerte Geschichte von Prüfung und Täuschung. Er beginnt mit der Vorstellung Adapas, eines weisen Mannes, der um 3300 v. Chr. in der Stadt Eridu lebte. Adapa war ein Schützling des Weisheitsgottes Enki, der ihm tiefe Einsicht in die Geheimnisse der Götter gewährt hatte. Als Hohepriester hatte er besondere Privilegien: Ohne ihn lief nichts in Eridu. Er verwaltete den Tempel und fuhr zur See.
Eines Tages ereignet sich ein folgenschwerer Zwischenfall: Als Adapa zum Fischen aufbrechen will, stellt sich ihm der Südwind in den Weg, bringt sein Boot zum Kentern und wirft ihn zurück ans Land. In seinem Zorn verflucht Adapa den Südwind und bricht ihm den Flügel. Die Folgen sind dramatisch – sieben Tage lang weht kein Südwind mehr über das Land.
Dies erregt die Aufmerksamkeit des höchsten Gottes An, der den Grund für das Ausbleiben des Windes erfragen lässt. Als er erfährt, dass Adapa dem Südwind den Flügel gebrochen hat, beordert er ihn zu sich in den Himmel. Nun geschieht etwas Unerwartetes: Enki, der Schutzgott Adapas, gibt ihm detaillierte Anweisungen für sein Erscheinen vor An. Er soll Trauerkleidung tragen und Ans Wächter für sich einnehmen. Vor allem aber warnt er ihn eindringlich davor, die Speise und das Wasser anzunehmen, die ihm angeboten werden – es seien die Speise und das Wasser des Todes.
Adapa befolgt Enkis Anweisungen genau. Als er jedoch vor An steht, weicht er von der Wahrheit ab: Er behauptet, er sei bereits mitten auf dem Meer gewesen, als der Südwind sein Boot zum Kentern brachte, und habe dem Wind nur aus Notwehr den Flügel gebrochen. An reagiert überraschend: Er bietet Adapa das „Brot des Lebens“ und das „Wasser des Lebens“ an und sagte, dass sie ihm Unsterblichkeit verleihen würden – das genaue Gegenteil dessen, wovor Enki gewarnt hatte. Doch Adapa bleibt den Anweisungen seines Schutzgottes treu und lehnt ab. Daraufhin schickt An ihn zurück zur Erde.
Diese Geschichte wirft viele Fragen auf: Warum warnte Enki vor einer Speise, die ewiges Leben versprach? Warum log Adapa den höchsten Gott an? Und warum wurde er dafür nicht bestraft? Die überraschenden Wendungen des Mythos deuten darauf hin, dass mehr geschieht als auf den ersten Blick erkennbar ist. Eine genauere Analyse enthüllt, dass Adapa nicht nur einer, sondern einer ganzen Serie von Prüfungen unterzogen wurde – mit überraschendem Ausgang.
Die erste Prüfung: Die Kontrolle des Zorns
Die erste Prüfung Adapas findet am Ufer von Eridu statt, als er zum Fischen aufbrechen will. Die Situation erscheint zunächst alltäglich, gewinnt aber bei genauerer Analyse eine tiefere Bedeutung. Adapa genoss als Hohepriester von Eridu außergewöhnliche Privilegien. Er war nicht nur jemand, dem sich keiner in den Weg stellte, sondern hatte auch direkten Zugang zu göttlichem Wissen. Der Text betont seine besondere Stellung:
„Enki gewährte Adapa Einsicht in seine Pläne, auf dass er die Geschicke des Landes offenbaren könne. Er gab ihm Weisheit, aber nicht das ewige Leben.“
Diese privilegierte Position hatte Adapa offenbar hochmütig gemacht. Als der Südwind sein Boot zum Kentern bringt, reagiert er nicht wie ein weiser Mann, der die Naturgewalten respektiert, sondern wie ein gekränkter Herrscher, dessen Autorität in Frage gestellt wurde. Seine Worte offenbaren seinen Zorn:
„O Südwind, auf dem Weg zu dir stellst du dich mir in den Weg? Ich werde deinen Flügel brechen!“
Die Formulierung ist aufschlussreich: Adapa empfindet es als persönliche Kränkung, dass der Wind es wagt, „sich ihm in den Weg zu stellen“. Er sieht sich selbst als so bedeutend an, dass sich ihm nicht einmal die Naturgewalten widersetzen dürfen. Seine Reaktion – das Brechen des Flügels – ist keine Notwehrhandlung, sondern eine Machtdemonstration aus gekränktem Stolz.
Dies war vermutlich genau die Reaktion, die der Test provozieren sollte. Das Kentern des Bootes war kein zufälliges Ereignis, sondern eine bewusst inszenierte Prüfung. Der Südwind, der „sich Adapa in den Weg stellte“, handelte wohl auf Anweisung Enkis. Er wollte sehen, wie der privilegierte Hohepriester auf Widerstand reagiert.
Das Ergebnis war eindeutig: Adapa zeigte sich unfähig, seinen Zorn zu kontrollieren. Statt die Situation mit der ihm zugeschriebenen Weisheit zu meistern, reagierte er mit einer Gewalttat, die das natürliche Gleichgewicht störte. Das siebentägige Ausbleiben des Südwinds symbolisiert dabei die weitreichenden Folgen seiner Überreaktion: Die Handelsschiffe konnten Eridu nicht mehr anfahren.
Diese erste Prüfung offenbart damit einen fundamentalen Charakterfehler Adapas: Trotz seiner Weisheit und privilegierten Stellung – oder vielleicht gerade deswegen – mangelte es ihm an der nötigen Demut und Selbstkontrolle. Die Götter mussten erkennen, dass ihr Schützling zwar über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte, diese aber nicht mit der nötigen charakterlichen Reife paarte.
Diese Erkenntnis führte zur zweiten Prüfung, bei der es nicht mehr um die Kontrolle des Zorns, sondern um einen noch fundamentaleren Aspekt ging: die Fähigkeit zur Wahrhaftigkeit.
Die zweite Prüfung: Die Macht der Wahrheit
Die Vorladung vor An stellte Adapa vor eine fundamentale Entscheidung: Sollte er zu seiner Tat stehen und die Wahrheit sagen, oder versuchen, durch eine geschickte Lüge sein Vergehen zu relativieren? Die Situation war heikel – immerhin hatte er einen Aspekt der göttlichen Ordnung beschädigt. Doch gerade diese schwierige Ausgangslage machte die Situation zu einem perfekten Test seiner moralischen Integrität.
Bemerkenswert ist die Rolle Enkis in dieser Phase. Er, der sowohl An als auch Adapa gut kennt, gibt Adapa sehr präzise Anweisungen:
„Adapa, du sollst vor König An gehen. Du wirst zu An hinaufsteigen. […] Sie werden dir die Nahrung des Todes vorsetzen, iss nicht. Das Wasser des Todes werden sie dir hinhalten. Trinke nicht.“
Diese Warnung erscheint zunächst als fürsorgliche Hilfe eines Schutzgottes. Doch bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass Enki seinem Schützling keinen Rat gibt, wie er sich vor An rechtfertigen soll. Er warnt ihn nur vor der Speise und dem Trank. Er wusste bereits, dass diese eine Rolle spielen würden.
Vor An angekommen entscheidet sich Adapa für die Täuschung. Er konstruiert eine Geschichte, die sein Handeln als Notwehr erscheinen lassen soll:
„Mein Herr, ich habe in der Mitte des Meeres Fische gefangen, für das Haus meines Herrn Enki. Aber er blähte das Meer zu einem Sturm auf, und der Südwind blies und versenkte mich! […] In meinem Zorn verfluchte ich den Südwind.“
Diese Darstellung verdreht die tatsächlichen Ereignisse: Adapa war noch gar nicht auf dem Meer, als der Wind sein Boot zum Kentern brachte. Er brach dem Wind auch nicht aus Notwehr den Flügel, sondern aus gekränktem Stolz. Seine Geschichte ist der geschickte Versuch, sein Vergehen zu rechtfertigen.
Doch die Götter sind allwissend – eine Tatsache, die Adapa eigentlich klar gewesen sein müsste. An durchschaut Adapas Lüge sofort und beschließt daher im Gegenzug, auch Adapa anzulügen: Er bietet Adapa „Brot des Lebens“ und „Wasser des Lebens“ an – in Wahrheit die Speise und das Wasser des Todes. Seine Reaktion ist eine direkte Vergeltung: Wer ihn anlügt, den will er selbst mit einer Lüge in den Tod führen.
Diese Situation offenbart die tiefe Bedeutung von Enkis ursprünglicher Warnung. Er kannte nicht nur An gut, wie der Text betont, sondern auch seinen Schützling Adapa. Er wusste, dass dieser lügen würde, und er wusste auch, wie An auf diese Lüge reagieren würde – mit einer tödlichen Gegenlüge. Seine Warnung vor der Speise war daher der Versuch, seinen Schützling vor den Konsequenzen seiner eigenen moralischen Schwäche zu bewahren. Was sich daraus entwickelte – die dritte und letzte Prüfung – war nur von Enki in ihrer vollen Bedeutung abzusehen gewesen.
Die dritte Prüfung: Gehorsam versus Verlockung
Die finale Prüfung entfaltet sich in einer Situation höchster dramatischer Spannung. An bietet Adapa die scheinbare Chance auf Unsterblichkeit:
„Bringt ihm das Brot des ewigen Lebens und lasst ihn essen!“
Dies ist ein Moment existenzieller Entscheidung. Adapa steht vor der Wahl zwischen dem Gehorsam gegenüber Enkis Warnung und der Verlockung ewigen Lebens. Der Text betont die Bedeutung dieser Entscheidung durch die detaillierte Beschreibung der Szene:
„Sie brachten ihm das Brot des ewigen Lebens, aber er wollte nicht essen. Sie brachten ihm das Wasser des ewigen Lebens, aber er wollte nicht trinken.“
An ist von dieser Verweigerung sichtlich überrascht:
„Komm, Adapa, warum hast du nicht gegessen? Warum hast du nicht getrunken? Wolltest du nicht unsterblich sein? Wehe dem geknechteten Volk!“
Diese Reaktion ist aufschlussreich. Er hatte Adapa mit dem vermeintlichen Angebot der Unsterblichkeit in den Tod locken wollen, doch Adapas Gehorsam gegenüber Enki durchkreuzte diesen Plan.
Anders als die ersten beiden Tests, bei denen es um Selbstbeherrschung und Wahrhaftigkeit ging, prüft dieser letzte Test etwas viel Grundlegenderes: die Fähigkeit, Verlockungen zu widerstehen und den Anweisungen des eigenen Schutzgottes zu folgen. Dass Adapa diese Prüfung besteht, rettet ihm das Leben. Die dreifache Prüfung Enkis endet damit in einem bemerkenswerten Ergebnis:
Adapa handelt nicht wie ein weiser Mann, der die Konsequenzen seines Handelns beachtet, sondern wird zornig wie ein gekränkter Herrscher, dessen Autorität in Frage gestellt wird. Er ist auch nicht wahrhaftig gegenüber den Göttern, aber er hat unbedingtes Vertrauen zu Enki, kann Versuchungen widerstehen und handelt, wie ihm aufgetragen wird.
Bedeutung im Kontext der Founder-Hypothese
Der Adapa-Mythos gewinnt im Kontext der Founder-Hypothese eine neue und tiefere Bedeutung. Was zunächst als moralische Erzählung erscheint, enthüllt sich bei genauerer Analyse als Zeugnis davon, dass die Founder das Verhalten der Menschen in Extremsituationen studieren und daraus ihre Schlüsse ziehen.
Adapa war als Hohepriester von Eridu in einer besonderen Position: Er hatte direkten Kontakt zu einem der Founder. Der Text betont dies gleich zu Beginn: „Enki gewährte Adapa Einsicht in seine Pläne, auf dass er die Geschicke des Landes offenbaren könne.“ Diese privilegierte Stellung machte seine Reaktionen besonders interessant für die Founder.
Die drei Prüfungssituationen, die der Mythos beschreibt, offenbaren grundlegende Aspekte menschlichen Verhaltens:
- Die erste Situation zeigte, wie selbst ein weiser Mann wie Adapa auf eine Kränkung seiner Autorität mit unkontrolliertem Zorn reagierte ohne die Konsequenzen seines Handelns zu beachten – eine typisch menschliche Reaktion seiner Zeit.
- Die zweite Situation demonstrierte den instinktiven menschlichen Versuch, durch eine Notlüge einer gefährlichen Situation zu entkommen.
- Die dritte Situation bewies die Fähigkeit Adapas, einer unmittelbaren Verlockung zu widerstehen und sie bewies das Vertrauen, das Adapa in Enki setzte.
Besonders aufschlussreich ist die Rolle Enkis. Als erfahrener Founder kannte er sowohl die menschliche Natur als auch die Reaktionsmuster der anderen Götter gut genug, um die Entwicklung der Situation vorauszusehen. Seine Warnung vor der „Speise des Todes“ zeigt dabei eine typische Vorgehensweise der Founder: Sie geben ihren Schützlingen nur die Anweisungen, die sie brauchen, um eine gefährliche Situation zu überstehen.
Das Ergebnis der Prüfungen ist aus Sicht der Founder höchst aufschlussreich: Adapas Fehlverhalten – sein Zorn und seine Täuschung – waren nicht ungewöhnlich für einen Menschen seiner Zeit, wohl aber das Widerstehen von Verlockungen. Das war auch sicher einer der Gründe, weshalb Adaba der Hohepriester Enkis werden konnte.
Der Mythos vermittelt damit eine zentrale Einsicht in die Beziehung zwischen Menschen und Foundern: Die Founder mussten die Menschen so akzeptieren wie sie waren, mit all ihren emotionalen Reaktionen und moralischen Schwächen. Statt unmögliche charakterliche Perfektion zu erwarten, entwickelten sie Strategien, um diese menschlichen Eigenschaften zu berücksichtigen und zu kanalisieren. Der Mythos zeigt damit auch, wie die Founder lernten, durch präzise Anweisungen und klare Führung die Entwicklung der Menschheit trotz ihrer inhärenten Schwächen voranzutreiben.
