Der Gott Utu
Utu ist der Sohn von Nanna und Ningal und gehört zur zweiten Ebene der Anunnaki. Als Sonnengott und Gott der Gerechtigkeit reist er täglich über den Himmel und überwacht die Erde. Seine Hauptaufgabe ist die Rechtsprechung zwischen Menschen und Göttern. Er steht den Menschen besonders nahe und verteidigt ihre Rechte gegen andere Götter. Im Gilgamesch-Epos hilft er den Helden trotz Enlils Widerstand. Sein Haupttempel steht in Sippar. Er überbrachte den Kodex Hammurabi.
Der Gott Utu
Position im Pantheon
Utu gehört als Sohn von Nanna und Ningal zur zweiten Ebene der Anunnaki. Als Gott der Sonne und der Gerechtigkeit hat er eine besondere Rolle: Er reist täglich mit der Sonne über den Himmel und überwacht von dort das Geschehen auf der Erde. Seine Rolle als Sonnengott symbolisiert seine Funktion als Wahrheitsfinder und Richter – sein Licht durchdringt alles und macht Verborgenes sichtbar. Seine zentrale Aufgabe ist die Rechtsprechung. Dies wird im Mythos „Enki und die Weltordnung“ deutlich formuliert:
„Über die Erde und den Himmel zu richten: Enki beauftragte damit Utu, den Gott der Sonne und der Gerechtigkeit. […] Enki übertrug die Verantwortung ihm, dem Sohn von Ningal, dem Vater der großen Stadt, des Ortes, an dem die Sonne aufgeht, dem großen Diplomat des heiligen An, der aus dem heiligen Himmel herabblickt, dem Richter der Götter, der einen Lapislazuli-Bart trägt.“
Die Länge des Textes, der hier über Utu geschrieben wurde, unterstreicht seine Bedeutung als Gott. Anders als die anderen Anunnaki steht Utu den Menschen besonders nahe und setzt sich auch gegen die Interessen anderer Götter für sie ein. Seine wichtigsten Aufgaben umfassen:
- Die Bewahrung des Gleichgewichts zwischen göttlichen und menschlichen Interessen
- Die Rechtsprechung in Streitfällen zwischen Menschen und Göttern
- Die Entwicklung von Gesetzen für die Menschen
- Die Aufdeckung von Lügen und Täuschungen durch das ‚allsehende‘ Licht der Sonne
Utus Hauptwirkungsstätte ist die Stadt Sippar, wo sein bedeutendster Tempel E-Babbar steht. Später wurde er auch in Larsa verehrt, wo sein Tempel bis etwa 1800 v. Chr. immer weiter ausgebaut wurde.
Charakter und Erscheinung
Utu wird als gerechter und unparteiischer Gott dargestellt, der sich durch besondere Nähe zu den Menschen auszeichnet. Diese Charakterisierung wird im Gilgamesch-Epos deutlich, wo Enlil ihm vorwirft:
„Du bewegst dich unter ihnen wie ein Sterblicher.“
Was von Enlil als Kritik gemeint war, charakterisiert tatsächlich Utus besondere Qualität – seine Fähigkeit, die Perspektive der Menschen einzunehmen und ihre Rechte zu verteidigen.
Als menschliche Gestalt wird Utu als strahlender junger Mann mit langem Bart dargestellt. Da er der Bruder von Inanna ist, wird er oft etwa im gleichen Alter wie sie gezeigt, also als etwa 30-jähriger Mann. Ein besonderes Attribut ist sein „Lapislazuli-Bart“, der seine Position als einer der wichtigeren Götter unterstreicht.
Lebenslauf
Die Geschichte Utus beginnt mit seiner Geburt als Sohn von Nanna und Ningal, wie im Mythos „Nanna und Ningal“ beschrieben wird. Bereits bei seiner Geburt prophezeit seine Mutter Ningal seine besondere Rolle:
„Ich werde ihn Utu nennen, die Sonne, das Licht des Tages, das alle Welten mit Klarheit erleuchten wird.“
Bemerkenswert ist, dass Utu zwar der Gott der Sonne ist, aber nicht die Sonne selbst. Dies wird im Mythos „Enki und Ninhursag“ deutlich, wo die Sonne bereits als Himmelskörper erwähnt wird, lange bevor Utu geboren wurde.
Eine seiner ersten wichtigen Handlungen ist die Unterstützung seiner Schwester Inanna beim Diebstahl des E-ana Tempels, wie im Mythos „Inanna und An“ beschrieben. Obwohl diese Handlung auf den ersten Blick im Widerspruch zu seiner Rolle als Gott der Gerechtigkeit steht, zeigt sie bereits sein grundlegendes Prinzip: Er unterstützt das, was er als im besten Interesse der Menschen ansieht, auch wenn es den Interessen der Götter zuwiderläuft.
Seine Rolle als Richter wird in mehreren mythologischen Episoden deutlich:
Im Etana-Mythos urteilt er über den Adler Anzu, der die Schlange hintergangen hat. Dabei zeigt sich seine weise und vorausschauende Art der Rechtsprechung: Statt den Adler hinzurichten, lässt er ihn in eine Grube werfen, aus der er später durch Etana befreit werden kann.
Im Mythos „Inannas Abstieg in die Unterwelt“ steht er dem Hirtengott Dumuzi bei und demonstriert damit seine Rolle als Beschützer der Schwachen.
Ein Höhepunkt seines Wirkens ist seine Rolle im Gilgamesch-Epos, wo er sich aktiv auf die Seite der Menschen stellt. Er hilft Gilgamesch und Enkidu im Kampf gegen Humbaba, obwohl andere Götter dies nicht wollen. Diese Episode führt zu einer direkten Konfrontation mit Enlil, der ihm vorwirft:
„Sonnengott, du hast ihnen geholfen, den himmlischen Stier und Humbaba zu erschlagen. Daher muss Enkidu sterben. Hast du es für richtig gehalten, ihnen zu helfen? Du bewegst dich unter ihnen wie ein Sterblicher.“
Diese Kritik Enlils verdeutlicht den fundamentalen Unterschied zwischen Utus Ansatz und dem der anderen Götter: Während diese ihre Distanz zu den Menschen wahren, engagiert sich Utu direkt für deren Interessen.
Ein praktisches Resultat von Utus Wirken war die Entwicklung des berühmten Kodex Hammurabi (ca. 1750 v. Chr.). Auf der berühmten Gesetzesstele wird Hammurabi vor dem thronenden Sonnengott dargestellt, der ihm die Gesetze übergibt. Dies zeigt Utus fortdauernde Rolle als Gott der Gerechtigkeit, der die Menschen direkte Rechtsprinzipien lehrt. Auch inhaltlich spiegelt der Kodex viele der Prinzipien wider, die bereits in den früheren Mythen mit Utu verbunden werden: der Schutz der Schwachen, die Bedeutung der Wahrheitsfindung und die Etablierung klarer, für alle gültiger Rechtsnormen. Die Verbindung zwischen Utu und dem Kodex Hammurabi zeigt, wie die mit ihm verbundenen Rechtsprinzipien auch nach dem Ende der sumerischen Zeit weiter tradiert wurden.
Interpretation der Figur
Als Founder war Utus zentrale Aufgabe vermutlich die Entwicklung und Implementierung eines Rechtssystems, das die grundlegenden Rechte der Menschen schützte. Seine Position als Sonnengott, der alles sieht, ist dabei eine mythologische Metapher für die technologischen Fähigkeiten der Founder, auf die Erinnerungen und Gedanken der Menschen zuzugreifen. Seine tägliche Reise über den Himmel symbolisiert die kontinuierliche Überwachung der menschlichen Aktivitäten und damit die Möglichkeit, Verfehlungen zu richten. Seine Methoden der Einflussnahme umfassten vermutlich:
- Die Entwicklung grundlegender Rechtsprinzipien,
- Den Zugriff auf die Erinnerungen der Menschen,
- Die direkte, telepathische Unterweisung menschlicher Richter in der Rechtsprechung,
- Die Förderung eines ethischen Bewusstseins durch die Einführung eines Rechtssystems.
Die historische Bedeutung seiner Aktivitäten liegt vor allem in der Entwicklung eines Rechtssystems, das die Rechte des Einzelnen auch gegenüber Machthabern schützte. Viele der von ihm etablierten Rechtsprinzipien finden sich später im Kodex Hammurabi und anderen frühen Gesetzessammlungen wieder.