Die Göttin Ninhursag
Ninhursag gehört zur obersten Ebene der Anunnaki und ist eine der mächtigsten sumerischen Göttinnen. Als Erdgöttin und „Mutter allen Lebens“ reguliert sie Lebensprozesse von Fruchtbarkeit bis zur Bewusstseinsentwicklung. Ihre Titel umfassen Ki (Erde), Aruru (Schöpferin), Belet-ili und Mami (Muttergöttin). Mythologisch erschuf sie mit Enki die Lebensbedingungen, entwickelte das menschliche Bewusstsein weiter und wirkte als Heilerin. Nach der Sintflut führte sie neue Regulationsmechanismen für das Bevölkerungswachstum ein.
Die Göttin Ninhursag
Position im Pantheon
Ninhursag gehört zur obersten Ebene der Anunnaki und erscheint als eine der mächtigsten Göttinnen des sumerischen Pantheons. Als Erdgöttin und „Mutter allen Lebens“ ist sie für die Regulation der Lebensprozesse auf der Erde verantwortlich – von der Fruchtbarmachung des Bodens über die Erleichterung von Geburten bis hin zur Weiterentwicklung des menschlichen Bewusstseins. Diese umfassende Verantwortung spiegelt sich in ihren verschiedenen Titeln wider: Als Ki verkörpert sie die physische Erde selbst, als „Aruru“ (Schöpferin) arbeitet sie an der kognitiven Weiterentwicklung der Menschen, als „Belet-ili“ (Herrin der Igigi-Götter) greift sie regulierend ein als die Igigi mit ihrer Arbeit überfordert waren, und als „Mami“ (Muttergöttin) reguliert sie die Geburten und das Bevölkerungswachstum. Daneben ist sie auch als Heilerin bekannt.
Die Göttin Ninhursag scheint also für die Optimierung der Lebensprozesse auf der Erde zuständig gewesen zu sein. Ihre mythologischen Rollen als Erdgöttin, Heilerin, Geburtsgöttin und Entwicklerin des menschlichen Bewusstseins lassen sich als verschiedene Aspekte dieser übergeordneten regulativen Funktion verstehen. Diese Regulation erfolgte auf mehreren Ebenen:
- Auf der physischen Ebene als Erdgöttin schuf sie zusammen mit Enki die grundlegenden Lebensbedingungen.
- Auf der medizinischen Ebene als Heilerin und Geburtsgöttin verbessert sie die Gesundheit und Fruchtbarkeit der Menschen.
- Auf der neuronalen Ebene arbeitet sie als Schöpferin an der Weiterentwicklung des menschlichen Bewusstseins.
Charakter und Erscheinung
Ninhursag wird als erfahrene und weise Göttin dargestellt, die fürsorglich in die Lebensprozesse eingreift. Sie wird oft als eine etwa 70-jährige Frau dargestellt, deren Alter zwischen dem von An und dem von Enki liegt, was ihrer Position als ursprüngliche Gemahlin Ans und spätere Gemahlin Enkis entspricht. In Darstellungen wird sie oft in aufwändigen, reich verzierten Gewändern und mit Schmuck gezeigt, die ihre hohe Stellung unterstreichen.
Ihre Persönlichkeit ist von einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse aller Lebewesen geprägt. Sie agiert als eine Expertin, die die Lebensbedingungen der Menschen verbessert.
Ninhursags wichtigstes Kultzentrum befand sich in der Stadt Kesh, wo ihr Haupttempel stand. Auch in Adab wurde sie als Hauptgöttin verehrt und hatte dort einen bedeutenden Tempel. Darüber hinaus gab es in vielen anderen sumerischen Städten Tempel für sie, was ihrer übergeordneten Bedeutung als Erdgöttin und ‚Mutter allen Lebens‘ entsprach.
Lebenslauf
Die früheste mythologische Episode zeigt Ninhursag als Ki, die Erdgöttin und Gemahlin des Himmelsgottes An. Wie im Mythos „Enki und Ereschkigal“ berichtet wird, gebiert sie Enlil, der später die Trennung seiner Eltern verursacht, wodurch sich auch Himmel und Erde trennen. Diese Trennung von Himmel und Erde markiert den Beginn der Welt wie wir sie kennen, führt aber auch zu einem fundamentalen Ungleichgewicht – als Erdgöttin allein kann sie nur eine trockene Einöde hervorbringen. Im Mythos „Enki und Ninhursag“ wird beschrieben, wie sie dieses Ungleichgewicht durch ihre Verbindung mit Enki, dem Gott des Süßwassers, ausgleicht. Gemeinsam erschaffen sie zunächst das paradiesische Land Dilmun, ein Modell für das ökologische Gleichgewicht, das sie später in ganz Sumer etablieren wollen. Die Folgen ihrer Zusammenarbeit werden im Mythos durch Ninhursags Worte beschrieben:
„Ich fühle die Kraft des Lebens, die in mir pulsiert und sich auf meiner Oberfläche offenbart, während ich freudig die Sümpfe und Schilfflächen gebäre und ernähre, die von nun an Fische, Pflanzen, Tiere und alles, was atmet, beherbergen werden.“
Neben ihrer Arbeit als Schöpfergott, vollbrachte Ninhursag auch ganz praktische Dinge, wie die Heilung von Kranken. Als Enki von Ninhursag von einer Krankheit geheilt worden war, beschrieb er dies folgendermaßen:
„Du hast mich geheilt, indem du deine Seele in meinen Körper geschickt hast.“
Auch war Ninhursag in der Lage, Menschen emotional aneinander zu binden. Dies bestätigte sie indirekt, als sie ihrem Gemahl Enki versprach, es bei ihm nicht zu tun:
„Ich würde dich niemals gegen deinen wahren Willen an mich binden, Geliebter.“
Als diese Dinge geklärt waren, fassten Enki und Ninhursag einen Entschluss:
„Ich, Enki, der Herr der Süßwassers, sage, dass von diesem starken und festen Felsen (den du für uns beide errichtet hast und) der für mich Leben, Liebe und Fruchtbarkeit bedeutet, die Wasser des Lebens für immer in alle Welten fließen werden, in die wir uns wagen.“
Eine neue Ära beginnt, als Ninhursag ihrem Sohn Enlil die Schicksalstafeln übergibt, wie im Anzu Mythos beschrieben. Diese Tafeln ermöglichen es Enlil, die Igigi mit dem Bau des Kanalsystems und der ersten Städte zu beauftragen. Das Atrahasis Epos berichtet, wie die Igigi diese Arbeit mehrere tausend Jahre verrichteten, bis sie schließlich rebellierten. Daraufhin einigten sich die Götter, den Menschen mehr Intelligenz zu verleihen, damit sie die schwere Arbeit der Igigi übernehmen konnten. In dieser Krise zeigt sich Ninhursags wichtigste Fähigkeit: Zusammen mit Enki verleiht sie den Menschen mehr Intelligenz und nutzte dazu das Bewusstsein der Igigi als Vorlage.
Anschließend gehörte auch die Arbeit als Heilerin und Geburtshelferin zu ihren Hauptaufgaben. In ihrer neuen Rolle als Heilerin und Geburtshelferin trägt Ninhursag zum schnellen Wachstum der menschlichen Bevölkerung bei, was schließlich zu einer kritischen Überbevölkerung führt. Die Götter mussten die Sintflut schicken um die Bevölkerung wieder zu dezimieren. Ninhursags tiefe emotionale Reaktion auf die Sintflut im Atrahasis Epos zeigt ihre enge Verbindung mit allem Leben:
„Die Lippen von Ninhursag, der großen Herrin, wurden von Reif überkrustet […] Nun sind meine Nachkommen wie weiße Schafe geworden. Was mich betrifft, wie soll ich leben in einem Haus des Verlustes? „
Die Sintflut markiert einen fundamentalen Wandel in Ninhursags Wirken. Nach der Sintflut führt sie zusammen mit Enki ein neues System zur Regulierung des Bevölkerungswachstums ein. Die Geburten werden nicht mehr direkt von ihr überwacht, und dem Pasittu-Dämon wird erlaubt, Kinder aus dem Schoß der Mutter zu reißen. Diese drastischen Maßnahmen sollen weitere Naturkatastrophen überflüssig machen, indem sie ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Bevölkerungswachstum und verfügbaren Ressourcen herstellen.
Interpretation der Figur
Anders als An erscheint Ninhursag in den Mythen als eine sehr reale und aktiv eingreifende Gottheit, was nahelegt, dass sie tatsächlich eine der wichtigsten Founder war. Ihre Bedeutung wird durch die große Zahl ihrer verschiedenen Titel und die Vielfalt der ihr zugeschriebenen Funktionen unterstrichen.
Als Founder waren ihre Möglichkeiten, in biologische Prozesse einzugreifen, begrenzt. Während viele ihrer mythologischen Funktionen wie die Förderung der Fruchtbarkeit des Bodens, des Wachstums von Pflanzen und der Fruchtbarkeit von Tieren eher als religiöse Konstrukte zu verstehen sind, die den Menschen Sicherheit und Orientierung geben sollten, konnte sie als Founder tatsächlich nur das neuronale System der Menschen beeinflussen. Sie konnte dies durch die Modellierung neuronaler Aktivität und durch die Neuverdrahtung des menschlichen Bewusstseins bewerkstelligen. Diese Fähigkeit nutzte sie auf verschiedene Weise:
- Für die Weiterentwicklung des menschlichen Bewusstseins,
- Für Heilungsprozesse, indem sie Schmerzempfindung und andere neurologische Prozesse beeinflusste
- Bei Geburten durch die Steuerung der Wehentätigkeit
- Zur Schaffung emotionaler Bindungen zwischen Menschen
Ninhursags Hauptaufgabe war vermutlich die Weiterentwicklung des menschlichen Bewusstseins. Diese Fähigkeit wird besonders im Atrahasis-Epos deutlich, wo sie das Bewusstsein der Igigi als Vorlage nutzte – eine Metapher, die die systematische Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten des Menschen beschreibt.
Ihre enge Zusammenarbeit mit Enki deutet darauf hin, dass neurologische und technologische Entwicklung als komplementäre Prozesse verstanden wurden. Während Enki die äußere Infrastruktur der Zivilisation entwickelte, sorgte Ninhursag für die kognitiven Voraussetzungen. Das verbesserte Bewusstsein war dabei vermutlich die Voraussetzung für die Nutzung der kulturellen Errungenschaften, die Enki einführte.