Der Gott Enlil

Enlil ist der oberste Gott der Anunnaki auf der Erde und legitimer Nachfolger seines Vaters An. Vom Ekur-Tempel in Nippur aus verwaltet er Ressourcen und organisiert große Infrastrukturprojekte wie das Kanalsystem. Als autoritärer Herrscher ist er Befehlshaber der Igigi. Er greift zu drastischen Mitteln wie Seuchen und der Sintflut zur Bevölkerungskontrolle. Er etablierte das Königtum, schuf das erste Finanzsystem und plante systematisch die Entwicklung der sumerischen Zivilisation durch den Aufbau von Verwaltungsstrukturen.

Der Gott Enlil

Position im Pantheon

Enlil nimmt als oberster Gott der Anunnaki auf der Erde eine zentrale Machtposition ein. Er gehört zur obersten Ebene der Anunnaki und ist als vermutlich erster Sohn von An der legitime Nachfolger seines Vaters.

Vom Ekur-Tempel in Nippur aus plant und organisiert er die Entwicklung des Landes. Seine wichtigste Aufgabe ist hierbei die Verwaltung und Kontrolle der Ein- und Ausgaben sowie die Bereitstellung von Ressourcen für die Projekte der Anunnaki. Insbesondere ist er für die Durchführung der großen Infrastrukturprojekte der Anunnaki wie dem Bau des Kanalsystems verantwortlich. Als oberster Befehlshaber der Igigi beauftragt er sie, an diesen Projekten zu arbeiten. Auf diese Weise versucht Enlil sicherzustellen, dass das Gleichgewicht zwischen Bevölkerungswachstum und verfügbaren Ressourcen erhalten bleibt. Zu seinen weiteren Aufgaben gehört es, die Legitimation der Herrscher zu kontrollieren.

Charakter und Erscheinung

Enlil wird als autoritärer und strenger Herrscher dargestellt, der dazu neigt, zu drastischen Mitteln zu greifen, wenn er seine Stellung im Pantheon oder eines seiner Projekte bedroht sieht. Im Atrahasis Epos zeigt sich seine Härte, als er mehrfach versucht die Bevölkerungsexplosion durch Katastrophen zu kontrollieren. Er scheut sich nicht, Naturkatastrophen wie Seuchen, Dürren und Fluten zu nutzen, um seine Ziele zu erreichen. Obwohl Enlil oft als strenger oder sogar zorniger Gott beschrieben wird, zeigen die Mythen bei genauerem Hinsehen auch eine andere Seite: Er sorgt sich um die grundlegende Ordnung und Sicherheit der menschlichen Gesellschaft. Selbst die von ihm gesandten Katastrophen werden nicht aus reiner Willkür, sondern aus einer – wenn auch harten – administrativen Logik heraus verfügt.

Als reife Herrscherpersönlichkeit wird er meist im Alter von etwa 65 Jahren dargestellt, mit hellen (vermutlich blauen) Augen und Vollbart. Seine Augen werden im Mythos „Enlil und Ninlil“ als strahlend beschrieben. Er strahlt königliche Würde und Autorität aus.

Bei wichtigen Entscheidungen hört er auf seinen Berater Enki, kann aber auch eigensinnig und unnachgiebig sein. Dies zeigt sich besonders im Atrahasis Epos, wo er gegen Enkis Rat die Sintflut heraufbeschwört.

Lebenslauf

Enlils mythologische Geschichte beginnt mit einem drastischen Eingriff in die kosmische Ordnung: Wie im Mythos „Enki und Ereschkigal“ beschriebenwird, verursacht Enlil die Trennung seiner Eltern, dem Himmelsgott An und der Erdgöttin Ninhursag (auch genannt Ki), wodurch sich auch der Himmel und die Erde trennten und die Welt wie wir sie kennen entstand. Enlil erklärt, dass er damit die Verantwortung für die Erde übernommen habe. Diese frühe Handlung zeigt bereits Enlils charakteristische Bereitschaft, drastische Maßnahmen zu ergreifen, wenn er sie für notwendig hält. Gleichzeitig übernimmt er aber auch die Verantwortung für die Konsequenzen, indem er sich verpflichtet, als ‚Beschützer und Wächter der Erde‘ zu agieren.

Aufgrund der engen Verbundenheit Enlils mit Enki, die im Mythos „Enki und Ninhursag“ offenbart wird, fordert er Enki auf, an seiner Seite zu sein:

„Ich brauche auf jeden Fall Hilfe. Würdest du an meiner Seite sein, um die Mittelwelt so zu organisieren, dass sie für alle sicher ist?“

Die Aufgabe, die Enlil sich gestellt hatte, war dafür zu sorgen, dass das Leben der Menschen mehr wird als die bloße Existenz:

„Zum Leben und Sein gehört mehr als die bloße Existenz. Wer weiß, vielleicht sollte das Leben in sinnvollen Mustern organisiert werden.“

Er kam schließlich zu der Erkenntnis:

„Vielleicht sollte das Leben also eine Art Formung und Gestaltung sein, die sich immer weiterentwickelt und verändert, um unzählige Möglichkeiten zuzulassen. Nicht als vorgefasster Plan, sondern als Prozess und Ziel, während sich das Leben entfaltet.“

Laut dem Mythos „Enki und die Weltordnung“ half Enlil seinem Gefährten Enki beim Bau der ersten Stadt Eridu, indem er alle göttlichen Kräfre (die Me) sammelte und sie Enki übergab. Dies ermöglichte Enki, die Künste und das Handwerk in Eridu einzuführen.

Bald darauf wurde auch die Stadt Nippur erbaut. Im Mythos „Enlil und Ninlil“ wird beschrieben, wie Enlil als junger Mann in Nippur lebt und sich in das Mädchen Ninlil verliebt, die im Kanal badet. Doch Ninlil war noch zu jung um seine Frau zu werden. Ninlil war kein einfaches Mädchen, sondern eine junge Göttin. Da Enlil in der Lage war, ihr Schicksal zu ändern, beschloss er, ihr mehr Reife zu geben, bevor er mit ihr schlief und dabei den späteren Mondgott Nanna zeugte. Es war Enlil jedoch verboten, die Schicksale anderer Götter zu ändern. Da er es dennoch tat, sahen sich die übrigen Götter in ihrer Macht bedroht und wollten ihn in die Unterwelt verbannen. Während er auf dem Weg in die Unterwelt war, gelang es ihm jedoch mit Hilfe seiner Frau Ninlil auch sein eigenes Schicksal selber zu bestimmen und musste die Unterwelt schließlich nicht mehr besuchen. Hierdurch etablierte Enlil seine Herrschaft.

Enlils spätere Herrschaft ist geprägt von großen Projekten wie dem Bau des Kanalsystems. Er ließ seine Frau seinen Sohn Ennugi zeugen, den er später mit der Überwachung des Kanalbaus beauftragen sollte. Wie im Atrahasis Epos erwähnt wird, war der Bau des Kanalsystems, das zur Bewässerung der Felder diente, eines von Enlils wichtigsten Projekten. Zum Bau der Kanäle spannte Enlil zunächst die Igigi ein, was jedoch ein paar tausend Jahre später wegen der steigenden Arbeitsbelastung zu einem Aufstand unter den Igigi führte. Später verrichteten die Menschen selbst diese Arbeit.

Der Bau des Kanalsystems und der ersten Siedlungen wurde jedoch von einer Katastrophe überschattet. Im Mythos Enki und die Weltordnung wird erwähnt, dass die Städte Eridu und Ur überflutet worden waren, wofür Enlil die Verantwortung übernahm. Diese Überschwemmung, die auf etwa 3500 v. Chr. datiert werden kann, war noch nicht die Sintflut. Anschließend beauftragte Enlil den Gott Enki, den Wohlstand der Menschen zu mehren bzw. wieder herzustellen, während er selbst die Ein- und Ausgaben des Landes in Nippur verwaltete. Dies wird im Mythos „Enki und die Weltordnung“ deutlich:

„Von Meluha holte Enki Gold und Silber und brachte es nach Nippur zu Enlil, zu dem, der über alle Länder wacht. Demjenigen, der keine Stadt mehr hat, demjenigen, der kein Pferd mehr hat, gab er Vieh der Martu Nomaden.“

Enki besorgte also im Auftrag Enlils Gold und Silber für sein Land und brachte es zu Enlil, der alle wichtigen finanziellen Transaktionen überwachen und genehmigen musste. Das Gold und Silber wurde dann verwendet um Vieh von den Nomaden zu kaufen, da die Sumerer ihr eigenes Vieh aufgrund einer Katastrophe verloren hatten.

Im Atrahasis Epos wird das Problem der Bevölkerungsexplosion thematisiert, sowie die Aufgabe der Götter, dem Einhalt zu gebieten. Um die Bevölkerung einzudämmen ließ Enlil zunächst eine Krankheit, dann eine Dürre und zuletzt die Sintflut heraufbeschwören. Die Sintflut kann auf etwa 2900 v. Chr. datiert werden. Enlil war von der Vermehrungsfreudigkeit der Menschen so genervt, dass er mit der Sintflut die Menschen auslöschen und von neuem beginnen wollte. Dank Enkis Eingreifen geschah dies jedoch nicht und die Menschheit überlebte die Sintflut.

Enlil sah seine Projekte immer wieder durch Menschen gefährdet, die ihm nicht wie erwünscht zuarbeiteten. Wie im Mythos Lugalbanda und der Anzu Vogel beschrieben wird, hat Enlil daher den Adler Anzu beauftragt, die Menschen auf dem geraden und schmalen Pfad zu halten, auf dem sie für Enlils Projekte von Vorteil sein würden. Er hatte Anzu daher ermächtigt, die Schicksale der Menschen in dieser Weise zu verfügen.

In dieser Zeit etablierte Enlil ein neues System der Herrschaft: Das Königtum wurde nun nicht mehr direkt von den Göttern ausgeübt, sondern immer öfter an menschliche Herrscher delegiert. Diese mussten jedoch weiterhin von ihm legitimiert werden.

Enlil plante zusammen mit Inanna zudem, das Reich der Götter auf Erden zu errichten. Wie im Gilgamesch Epos beschrieben wird, sollte die Residenz der Götter in einem Zedernwald errichtet werden und von dem Riesen Humbaba bewacht werden, den Enlil zu diesem Zweck erschaffen hatte. Von dort aus sollte seine Enkelin Inanna über alle Königreiche herrschen. Dieses Projekt scheiterte jedoch durch das Eingreifen von Gilgamesch.

Interpretation der Figur

Als Founder war Enlils zentrale Aufgabe vermutlich die Planung und Organisation der Entwicklung der sumerischen Zivilisation. Als Founder verfolgte Enlil offenbar eine systematische Strategie der Zivilisationsentwicklung: Zunächst wurde durch das Kanalsystem die landwirtschaftliche Basis geschaffen, dann durch die Verwaltung der Ressourcen die Entwicklung der Städte ermöglicht und schließlich durch die Einführung des Königtums eine stabile politische Ordnung etabliert. Die Verwaltung der Ressourcen erforderte den Aufbau und die Verwaltung des ersten komplexen Finanzsystems der Menschheit. Dies gehörte zu seinen Hauptaufgaben, da ohne ein funktionierendes Finanzsystem die Entstehung komplexer Stadtstaaten nicht möglich gewesen wäre.

Seine Darstellung als strenger, zorniger Gott diente dabei der Legitimation seiner Entscheidungen über die Ressourcenverteilung. Besonders interessant ist seine Rolle bei Naturkatastrophen: Als Founder waren seine Möglichkeiten begrenzt und aktiv das Wetter beeinflussen konnte er nicht. Indem er jedoch Naturkatastrophen als seine bewussten Entscheidungen darstellen ließ, konnte er verhindern, dass die Menschen die Autorität der Götter in Frage stellten.

Seine tatsächlichen Methoden der Einflussnahme basierten vermutlich auf der telepathischen Anleitung der Igigi, die das Finanzsystem praktisch verwalteten oder eines seiner Projekte realisierten. Dieser Vorgang wird in den Mythen symbolisch durch die Verwendung der Schicksalstafel beschrieben mit der er die „Riten der Igigi“ festlegen konnte.

Als Founder entwickelte Enlil nicht nur das Finanzsystem, sondern auch grundlegende Verwaltungsstrukturen. Die später in den Tempeln gefundenen Verwaltungstexte und Wirtschaftsurkunden spiegeln wahrscheinlich die von ihm eingeführten Organisationsprinzipien wider. Die historische Bedeutung seiner Aktivitäten kann kaum überschätzt werden: Enlils System der zentralisierten Verwaltung und legitimierten Herrschaft wurde zum Vorbild für viele spätere Kulturen. Selbst als der direkte Einfluss der Founder nachließ, blieben die von ihm etablierten Strukturen in Form verschiedener Staats- und Religionssysteme erhalten.

founder-hypothesis.com
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.